Welche Schulschrift ist die richtige?

Die drei gültigen Schulschriften im Überblick [Bildquelle: Grundschulverband]

Eine interessante Diskussion entbrannte unlängst zwischen meinen Kommilitonen. Es tauchte die Frage nach den Formen der Buchstaben auf, mit denen wir damals das Schreiben erlernten. Wie viel Kringel hat ein H, wo setzt man beim K an, wie hat das z auszusehen? Anders gefragt: Welche Schulschrift ist die richtige?

Selbstverständlich war jeder der Ansicht, mit den in der Grundschule gelernten Füllerführungen noch heute up-to-date zu sein, auch wenn die Wenigsten den Füller heute noch benutzen. Die Stichprobe brachte es aber zu Tage: ein einheitliches Aussehen war Fehlanzeige, verklärte Erinnerungen paarten sich mit „Das ist so doch nicht richtig“-Behauptungen. Es konnten doch aber nicht alle im Recht sein?

Deutliche Differenzen lagen zwischen bayrischem, ostfriesischem, Berliner und letztlich Ostharzer Schriftdesign, die alte Garde war sich zudem mit den Jüngeren uneins. Der Verdacht erhärtete sich: in Deutschland herrscht offenbar auch in puncto Schulschrift föderale Vielfalt.

Wie aber erklärt sich diese Vielfalt? Historisch möchte ich der Kurzweiligkeit zuliebe auf Sütterlin & Co. verzichten und in der für uns relevanten Nachkriegszeit beginnen. 1953 wurde die durch Hitler 1941 im Normalschrifterlass eingeführte Deutsche Normalschrift verbindlich durch die Lateinische Ausgangsschrift ersetzt. Ausnahme hier war Bayern, das erst 13 Jahre später von der Altlast lösen konnte. Ihre Merkmale waren in einem Zug schreibbare Kleinbuchstaben mit Anstrichen und vielen Drehrichtungswechseln sowie eine geschwungenere Linienführung. Zusätzlich wurde jedoch die alte deutsche Normale weitergelehrt, um vor allem ältere Schriftstücke noch lesen zu können.

In der DDR hingegen wurde 1968 zur Reduzierung der Schwierigkeiten bei Anwendung der Lateinischen Ausgangsschrift die sogenannte Schulausgangsschrift verbindlich eingeführt, die der Lateinischen ähnelt, aber einige Buchstabenvarianten enthält (deutlich z.B. beim A und S). Seit den achtziger Jahren wurde aus den selben Gründen in vielen Bundesländern die Vereinfachte Ausgangsschrift zugelassen, die 1972 in den bundesrepublikanischen Schulkreislauf geworfen wurde und sich durch drastische Reduktionen der Drehrichtungswechsel, Luftsprünge und oben am Mittelband beginnende und endende Kleinbuchstaben charakterisiert.

Die genauen Regelungen, was kann und was muss, unterscheiden sich bis heute in den einzelnen Bundesländern. Möglich sind sowohl die Lateinische, die Vereinfachte und die Schulausgangsschrift. Tatsächlich benutzt also heute jeder die Richtige, wenn er sich in den Grundzügen dieser drei Möglichkeiten bedient. Die Vielfalt dürfte in der Praxis sogar noch größer sein. Weitestgehend ist man heute nämlich dazu übergegangen, den Kindern primär die Druckschrift beizubringen und ihnen die Entwicklung einer eigenen Schreibform selbst zu überlassen (wo die Vielfalt wohl erst so richtig beginnt). Die vorgestellten Schreibformen sollen nach diesem Paradigmenwechsel lediglich noch als Orientierungshilfe dienen. Aus typografischer Sicht ist in diesem Zusammenhang noch anzumerken, dass die Anmutung einer Druckschrift selbst oder sogar einer spezieller Grundform nicht vorgeschrieben ist, bis auf die Eigenschaft der Serifenlosigkeit. Lediglich in Bayern und Hamburg wird eine Empfehlung für eine spezielle Druckschrift ausgesprochen.

[Bildquellen: Grundschulverband – Arbeitskreis Grundschule e.V. („Grundschule Aktuell“ Ausgabe 91, September 2005), Wikipedia]

Die einzelnen Schriften können übrigens kostenlos unter Pelikan.com als TrueTypes heruntergeladen werden.

Nachtrag 27. Oktober 2018: Seit ich diesen Artikel vor 11 Jahren geschrieben habe, gab es weitere Entwicklungen, die hier noch keine Berücksichtigung finden. In den damals noch möglichen Kommentaren entspann sich zudem eine spannende Diskussion, die leider nicht mehr zugänglich ist. Ein Hinweis war unter anderem die Situation in der Schweiz mit Infos unter schulschrift.ch und die doch deutlich später tatsächliche Einführung der VA in den Achtzigern in Westdeutschland.